Erfahrungen aus dem Integrationsdienst

Ehrenamtliche berichten

Weit mehr als 100 Ehrenamtliche haben sich im Integrationsdienst für Menschen mit Flucht- oder Migrationsgeschichte in Frankfurt stark gemacht. Jede Begegnung ist unterschiedlich, bringt verschiedene Momente und Aufgaben mit sich. Was kann ich in einer Patenschaft unternehmen? Wie unterstütze meinen Mentee bei verschiedenen Themen? Auf welches Netzwerk kann ich mich dabei verlassen?

Die Erfahrungen von zwei unserer Ehrenamtlichen haben wir festgehalten:

Herausforderung Wohnungssuche

Unter der Maxime "Zusammen statt nebeneinander leben" unterstützen wir geflüchtete Menschen beim Ankommen in Frankfurt. In einigen Fällen geht es auch um den Umgang mit traumatischen Erlebnissen. Lydia begleitet seit 2017 mehrere Tandems. Im Interview spricht sie über besondere Herausforderungen bei ihrer Arbeit und ein "kleines Wunder", das ihr dabei widerfuhr.

Um ihre neugewonnene Zeit als Rentnerin sinnvoll zu nutzen, betreut Lydia mehrere Tandems gleichzeitig. "Man nimmt die Menschen anfangs sehr eng an die Hand und kann Stück für Stück etwas loslassen", beschreibt sie ihre Hilfe zur Selbsthilfe. Im günstigsten Fall entwickele sich daraus eine Art Freundschaft.

"Wusste nicht, mich zu verhalten"

Zu einem ihrer Tandems gehört Frau Karrim*, die 2015 mit ihrem Sohn Djamal* aus Afghanistan floh. Eines Tages habe der 16-Jährige unter Tränen von der Flucht berichtet. "Das war eine ganz schreckliche Situation. Ich wusste nicht mich zu verhalten", so Lydia. Letztlich habe sie ihn erstmal ausweinen lassen und versichert, ihm gerne zuzuhören.

Um für solche Fälle gewappnet zu sein, suchte Lydia das Gespräch mit den Hauptamtlichen der Malteser. "Eine professionelle Beratung hat mich aufgefangen, denn in diesen Situationen helfen die Leiter*innen des Projektes. Außerdem gibt es viele Schulungen und Sensibilisierungen, auch zum Thema Traumata. Man muss sie nur annehmen."

Weil Frau Karrim Analphabetin ist, kommuniziert Lydia viel über Körpersprache mit ihr. Oft benötigt die Familie Unterstützung, so wie bei der Suche nach einer Wohnung. Zunächst waren Frau Karrim und Djamal in einer Einrichtung der Stadt untergebracht. Für zwei Personen war die 1-Zimmer-Wohnung jedoch zu klein.

Aufatmen für kurze Zeit

Damit Djamal abends ungestört für die Schule lernen konnte, zog sich seine Mutter in den kleinen Eingangsbereich der Wohnung zurück. Dort übernachtete sie auch. "Für den Jungen war es natürlich mega-peinlich, ein Zimmer mit seiner Mutter zu teilen", berichtet Lydia. "Frau Karrim war hoch motiviert, etwas an der Wohnsituation zu ändern. Sie konnte es als Analphabetin allerdings nicht artikulieren."

Lydia begleitet die Familie zum Wohnungsamt und knüpft Kontakte zum evangelischen Verein für Wohnraumhilfe. Tatsächlich können sie alsbald eine 2-Zimmer-Wohnung über den evangelischen Verein anmieten. Doch das befristete Wohnverhältnis endet bereits nach zwölf Monaten. Deshalb müssen sie auf dem schwierigen Frankfurter Wohnungsmarkt erneut nach einer passenden Bleibe suchen.

Lydia fertigt eine Bewerbungsmappe an, beschreibt den Integrationswillen der Familie und ihre eigene Rolle als Ehrenamtliche der Malteser. Auch das Jugend- und Sozialamt und Djamals Schule helfen mit: "Djamal hatte sehr gute Noten und wir bekamen ein Empfehlungsschreiben der Schule. Er engagierte sich dort auch in einer AG gegen Rassismus und in einer Politik-AG. Außerdem identifiziert er sich sehr mit dem kulturellen Leben hier, mit der Sprache sowieso. Sogar vom Jugend- und Sozialamt haben wir ein Empfehlungsschreiben bekommen."

"Wie ein kleines Wunder"

Kurze Zeit später erhält Lydia einen Termin für eine Wohnungsbesichtigung. Schon davor kontaktiert sie den Hausmeister, stellt die Familie vor. "Auch wenn Frau Karrim nicht viel sprechen kann – sie ist sehr kooperativ. Sie kann sehr gut zeigen, dass sie mit beiden Beinen fest im Leben steht", so Lydia. Letztlich kommt die Familie in die engere Auswahl und erhält sogar den Zuschlag für die Wohnung. "Das war wirklich toll, wie ein kleines Wunder", freut sich Lydia.

Seit zwei Jahren wohnt die Familie nun in der neuen Wohnung. Frau Karrim hat ein eigenes Schlafzimmer und einen gemeinsamen Wohnbereich. Auch Djamal kann sich in sein Zimmer zurückziehen, Freunde können ihn besuchen und er kann am eigenen Schreibtisch ungestört lernen. Mittlerweile geht er auf ein Gymnasium, will das Abitur machen.

Verbesserte Situation erleichtert Integration

Weil die Wohnung am Stadtrand liegt, gab es zu Beginn kleinere Hürden. Anfangs wusste Frau Karrim nicht wo sie einkaufen gehen sollte, da der nächste Supermarkt zu teuer war. "Dann hat sie sich mit den Nachbarinnen solidarisiert. Sie fahren gemeinsam Einkaufen oder besuchen Flohmärkte. Sie hat sich wunderbar eingelebt", sagt Lydia.

Bald wird Frau Karrim eine Eingliederungsmaßnahme zur beruflichen Integration machen. Außerdem möchte sie ihr Deutsch verbessern. "Für die Zukunft wünsche ich mir, dass sie noch viele glückliche Jahre in ihrem Berufsleben hat. Und Djamal macht bald sein Abitur."

Das Interview führte Jonas Harbke, Praktikant im AmkA.
*Die Namen wurden geändert.

Was tun bei Rassismus in der Kita?

Die Journalistin Elvira engagiert sich seit Beginn des Projektes als Ehrenamtliche. Mit ihrer Tandempartnerin Frau Keita* lernt sie zu Beginn Deutsch. Später macht Frau Keita eine Ausbildung und muss zweimal in der Woche zur Berufsschule. Weil sie ihre Tochter Anisa* an ihren Berufsschultagen nicht in die Kita bringen kann, übernimmt Elvira diese Aufgabe für fast anderthalb Jahre.

Eines Tages möchte Anisa nicht mehr in die Kita gehen. Sie verhält sich anders, scheint von Ängsten getrieben. Ihrer Mutter erzählt sie, dass die anderen Kinder nicht mit ihr spielen wollen – angeblich weil sie schwarz ist. Als Elvira die Kleine beim nächsten Mal in die Kita bringt, bemerkt sie, wie ein Junge "Anisa – voll eklig" sagt. Aus Reflex habe sie mit dem Jungen geschimpft, ihm gesagt, dass er so nicht mit ihr reden dürfe. Gleichzeitig habe diese Situation ihr vor Augen geführt, wie gravierend das Problem ist, so Elvira.

Immer wieder Gespräche

Für Frau Keita und Elvira steht damit fest, handeln zu müssen. In einer WhatsApp-Gruppe berichtet die Mutter den Eltern der anderen Kinder, dass ihre Tochter rassistisch beleidigt wird. Manche Eltern sind entsetzt, andere wollen das Thema in den Elternbeirat bringen. An Anisas Ausgrenzung ändert sich aber zunächst nichts.

Im Gespräch mit den Erzieher*innen der Kita stellen diese zuerst auf die schwierige Personalsituation ab. Von einer Erzieherin bekommt Frau Keita sogar zu hören, dass sich Anisa einfach an solche Sprüche gewöhnen müsse, da sich Kinder eben gegenseitig ärgern würden. Völlig inakzeptabel, finden Elvira und Frau Keita und wenden sich an die Leiterin der Kita. Diese verspricht, die Situation zu beobachten.

Rund sechs Wochen später räumt die Leiterin ein, das rassistische Mobbing erschrocken wahrgenommen zu haben. Drei, vier Kinder seien daran beteiligt gewesen, weshalb sie Gespräche mit diesen Kindern und ihren Eltern geführt habe.

"Wir sind bunt"

Als Reaktion startet die Kita neue Aktionen wie "Wir sind bunt“, um das Bewusstsein der Kinder für gegenseitige Wertschätzung zu schärfen. "Unsere Gespräche mit der Kita haben neue Impulse dafür gesetzt, Kinder vor rassistischer Ausgrenzung zu schützen. Die Kita ist sehr viel aufmerksamer geworden", resümiert die Ehrenamtliche. Dennoch bleibt die Hautfarbe ein Dauerthema bei Anisa. Oft stellt sie Fragen wie: "Was wäre, wenn ich weiß wäre?"

Elvira hat aus den Geschehnissen viel mitgenommen: "Erwachsene dürfen es nicht durchgehen lassen, wenn sich Kinder rassistisch verhalten." Zwar würden Kinder oft nur nachsprechen, was sie woanders aufgeschnappt haben. "Wenn sie jedoch merken, dass sie damit durchkommen, tun sie es immer häufiger." Aber auch diejenigen Kinder, die nur zuschauen, müssten lernen, ihre Stimme für ein faires Miteinander zu erheben. "Für mich war das ein sehr wichtiger Lernprozess."

Das Interview führte Jonas Harbke, Praktikant im AmkA.
*Die Namen wurden geändert.

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